Nachhaltig leben und Gewaltfreie Kommunikation

Spannendes Neuland betrat ein Seminar der Zukunftswerkstatt Ökumene

Eine wunderbare Übung, die sehr typisch ist für dieses Seminar: Wir suchen uns eine(n) PartnerIn und legen die Außenflächen der jeweils linken und rechten Hand aneinander. Wechselseitig schließen wir die Augen und lassen uns vom anderen quer durch den Raum führen. Das ist nur möglich, wenn jeder sehr fein zum anderen hinfühlt, ist mehr ein intuitives Folgen als Geführtwerden.

Das Seminar „Nachhaltig leben und Gewaltfreie Kommunikation“ war eine Premiere: Erstmals wurde auf einem Wochenend-Seminar gezielt die Verbindung zwischen Gewaltfreier Kommunikation (GfK) und nachhaltiger Lebensweise hergestellt.

„Wer ist das Schwein?“

Innerhalb des Bezugssystems Ich-Du erleben wir Konflikte üblicherweise, indem wir bewerten und fragen „Wer ist schuld?“ – oder wie Monika Flörchinger es drastisch formuliert: „Ganz automatisch gehen wir in den Modus ‚Wer ist das Schwein?'“.wir

Zusammen mit ihrem Lebenspartner Klaus-Peter Kilmer-Kirsch (beide sind zertifizierte GfK-TrainerInnen und leben in der Kommune Niederkaufungen) erläutert sie uns von Freitagabend bis Sonntagmittag überzeugend und anschaulich, dass es praktisch keine Konfliktsituation gibt, in der man nicht auch anders und sinnvoller reagieren könnte. Statt gegeneinander zu denken und zu fühlen, kann man auch in einen Einfühlungs- und Solidaritätmodus gehen. Dabei geht es ganz und gar nicht um Selbstaufgabe, sondern vielmehr um die Fragen: „Wie geht es mir, was brauche ich?“ und „Wie geht es dir, was brauchst du?“.

Das kann man zwar ethisch begründen, muss man aber nicht. Ganz praktisch gesehen hat man im Solidaritätsmodus (mit sich und dem anderen) eine weitaus größere Chance, beim anderen eine Verhaltensänderung zu bewirken. Im WidS-Modus (wer ist das Schwein) hingegen löst man beim Gegenüber augenblicklich Ablehnung aus.

Kompromiss ist keine echte Lösung

Worum es definitiv nicht geht, ist Kompromiss. Die Referenten bringen dafür ein schönes Beispiel: Zwei Frauen streiten sich um eine Orange, denn jede möchte diese letzte Orange ganz für sich. Schließlich einigen sie sich auf einen Kompromiss und jede erhält eine halbe Orange. Später stellt sich heraus, dass die eine die Orangenschale brauchte, die andere aber den Saft. Monika: „Wenn man sich in gegenseitiger Wertschätzung verbindet, dann findet sich manchmal ganz von selbst eine Lösung, an die man zunächst gar nicht gedacht hat.“

GfK, das begreifen wir recht schnell, ist einerseits ein Sprachkonzept, aber zugleich auch ein Lebensmodell. Dabei geht es – ganz entscheidend – darum, für die eigenen Gefühle und Bedürfnisse Verantwortung zu übernehmen und nicht in die Haltung zu gehen: An meinen Gefühlen ist jemand anders schuld; es gibt einen oder mehrere Marionettenspieler, an deren Fäden ich hänge. Erst wenn man das gelernt hat, hat man eine reelle Chance, nachhaltig zu leben. Wenn man seinen tiefsten Bedürfnisse auf der Spur ist und sich ihnen gemäß verhält, treten Ersatzbedürfnisse allmählich in den Hintergrund bzw. werden von ganz alleine überflüssig.

Gefühle als Signallampen

GfK besteht aus vier Schritten, der Situationsbeschreibung, den Gefühlen, den Bedürfnissen und der Bitte. Wir beginnen bei Schritt 2, den Gefühlen. Monika rät, sich nicht zu vergewaltigen: „Schaut euch erst einmal die ganze Wolfsshow an, die in euch abgeht, all die Bewertungen und Vorurteile, die in eurem Kopf hochkochen.“ Aber dann geht es darum, sich bewusst zu machen: Was fühle ich eigentlich und wie drücke ich das aus? Monika ermahnt uns: „Fühlt wie die Kinder, die auf die Welt kommen und schreien, wenn sie Hunger haben. Sie machen niemandem einen Vorwurf, sie fühlen sich unwohl und äußern ganz unmittelbar ihr Bedürfnis nach Sättigung, nicht mehr und nicht weniger.“

Gefühle sind wie Signallampen an einem Auto: Sie weisen auf ein befriedigtes oder unbefriedigtes Bedürfnis hin. Die Kunst besteht darin, nicht in gefühlsähnliche Gedanken und Interpretationen zu gehen (wie z.B. „ich fühle mich verletzt“ oder „ich fühle mich ausgegrenzt“), sondern genau in sich hineinzuspüren, welches Bedürfnis sich hier äußert. Monika: „Man muss sich mit sich selbst verbinden können, um den anderen verstehen zu können.“ Es geht nicht darum, die ganze Geschichte aufzurollen, sondern im Hier und Jetzt zu schauen, was ich wirklich brauche. Die gefährlichste Falle auf dem Weg, seine tiefsten Bedürfnisse kennenzulernen, ist die Verwechselung eines Bedürfnisses mit einer Strategie. Das Bedürfnis fragt: „Was brauche ich, was wird in mir genährt, wenn das stattfindet?“, die Strategie sagt: „Ich will von dir“. Bedürfnisse sind universell und elementar allen Menschen gemeinsam, sie sind unabhängig von anderen Personen oder Zeitpunkten. Machen sie sich abhängig von einer Person (wie zum Beispiel den Partner), dann verwandeln sie sich in Strategien und „missbrauchen“ den anderen, der dies spürt und sich instinktiv dagegen wehrt.

Eine typische Verwechslung von Bedürfnis und Strategie ist der Wunsch nach Anerkennung durch eine bestimmte Person. Die meisten Kursteilnehmer waren erst einmal der Meinung, dies sei ein Bedürfnis. Das tatsächliche Bedürfnis ist aber das nach Selbstwertschätzung, der Wunsch, ganz in seiner Kraft zu sein. Macht man sich das nicht bewusst, dann benutzt man den anderen strategisch, um dieses Grundbedürfnis zu befriedigen. Bei rechtem Licht betrachtet könnte man es aber auch mit anderen Mitteln und Methoden nähren. Echte, tiefe Bedürfnisse sind zum Beispiel: das Bedürfnis nach Lebenserhalt, nach Liebe, nach Zugehörigkeit, nach Authentizität und Selbstwert, nach Freude und Lachen, Selbstbestimmung, Harmonie und Sinn.

Eine Bitte formulieren, keine Forderung

Monika und Klaus-Peter lassen keinen Zweifel: „Wenn wir nicht Verantwortung für die Erfüllung unserer Bedürfnisse übernehmen, dann machen wir andere dafür verantwortlich.“ Wer diese Methode allerdings als Technik erlernen möchte, um Konflikte locker zu bewältigen, ist auf dem Holzweg, denn „In der Gewaltfreien Kommunikation geht es nicht um allgemeine Lösungen, sondern um Beziehungen.“ Letztlich arbeitet man an einer wertschätzenden Verbindung zu sich selbst und zum anderen.

Die „Schritte“ innerhalb der Gewaltfreie Kommunikation enden mit einer Bitte an den anderen. Richtig formuliert ist sie, wenn sie im Hier und Jetzt machbar ist, wenn sie konkret und positiv formuliert ist. Am wichtigsten aber: Eine Bitte unterscheidet sich von einer Forderung dadurch, dass sie mit einem Nein rechnet und es akzeptiert. Sie lässt dem anderen die volle Entscheidungsfreiheit und hat deshalb die größte Chance auf Erfolg. Forderungen hingegen lösen oft Widerstand im anderen aus oder erzwingen letztlich unaufrichtige Handlungen. Am häufigsten geschehen sie aus Schuld- bzw. Schamgefühlen, Angst, Gehorsam oder für in Aussicht gestellte Belohnungen .

Es gibt zwei Arten von Bitten

  • die Lösungsbitte: Ich hätte gerne …, bist einverstanden, wenn …
  • die Beziehungsbitte: Kannst du mir sagen, was du verstanden hast? Oder wie geht es dir, nachdem du das von mir gehört hast?

Es begegnen einem plötzlich Dinge

Auf dem Weg zum eigenen nachhaltigen Verhalten bietet sich die Übertragung der 4 Schritte auf eigene Lebenskonflikte an. Das tut man am besten in dieser Reihenfolge:

A) Tatsächliches Verhalten

B1) Bewertung/Urteil B2) Wunschverhalten

C1) Welches Bedürfnis erfülle ich damit? C2) Welches Bedürfnis würde ich mir damit erfüllen?

D) Bitte: Ich habe nun beide Seiten gehört. Wie lassen sich möglicherweise beide Bedürfnisse verbinden?

Am besten geht man so vor, dass man erst einmal innerlich die Schritte A – B1 – C1 geht, dann B2 und C2. Erst danach überlegt man sich D.

Im Alltagsverhalten bleibt man meist bei B1 stehen und eine Verhaltensänderung tritt nicht ein. „Wir wollen nämlich nicht gezwungen sein, nicht einmal von uns selbst.“ Indem man sich C1 und C2 achtsam anschaut, geht man auch mit sich selbst mitfühlend um.

Selten lässt sich ein Wunschverhalten gleich umsetzen. Aber wenn man sich mit einem Bedürfnis verbindet, geschieht anderes, es begegnen einem plötzlich Dinge, die dieses Bedürfnis nähren. Deshalb heißt jetzt: erste Schritte machen, dran bleiben!

Bobby Langer www.anders-besser-leben.de