Versöhnungsprojekt mit jungen Menschen aus Israel, Palästina und Deutschland

Entwicklung einer gewaltfreien Konfliktkultur mit dem Ansatz der Gewaltfreien Kommunikation

Persönlicher Erfahrungsbericht von Monika Flörchinger

Getragen vom Versöhnungsbund und organisiert von Sabine von Zastrow fand vom 3.-27. August 2007 eine Begegnung zwischen jungen Menschen aus Israel, Palästina und Deutschland statt.

Der erste Schwerpunkt dieses Projektes war ein zweiwöchiger GFK-Workshop geleitet von Gabriele Seils und mir, der im Martin Niemöller Haus in Berlin stattfand.

Für mich war es eine der intensivsten Erfahrungen meiner bisherigen Arbeit als GFK-Trainerin._k-p1000699

Teilgenommen haben 13 junge Menschen im Alter von 20 bis 25 Jahren:

· zwei junge Israelis, die den Militärdienst verweigert hatten und dafür einige Monate im Gefängnis waren,

· zwei junge israelische Frauen, die aus großer Überzeugung Militärdienst geleistet haben und für die das Militär eine große Sicherheit bedeutet,

  • eine Palästinenserin, die in Israel lebt,
  • drei Frauen aus Palästina sowie
  • 3 junge Männer und zwei jungen Frauen aus Deutschland.
  • einem jungen Palästinenser aus einem Flüchtlingslager wurde am Flughafen die Ausreise verweigert.

Ich empfand die Zusammensetzung der Gruppe als sehr heterogen, obwohl sie aus jungen Menschen bestand, die sich in ihrer Heimat in irgend einer Weise in sozialen Initiativen und für Gewaltfreiheit und Versöhnung engagieren. Die Tatsache aber, dass es „vor Ort“ so gut wie keine Möglichkeiten der Begegnung zwischen Israelis und PalästinenserInnen gibt, hat zur Folge, dass es auf beiden Seiten viele Vorurteile, und starke Feindbilder gibt.
Die TeilnehmerInnen kamen am Wochenende an und hatten erst einmal Gelegenheit, sich gegenseitig kennen zu lernen. Am Montag startete dann der Workshop in Gewaltfreier Kommunikation. Die ersten beiden Workshoptage verliefen noch „nach Plan“: in Kleingruppen setzten sich die TeilnehmerInnen engagiert und kreativ mit den Begriffen „Konflikt“ und „Gewaltfreiheit“ auseinander, am Nachmittag sorgte eine Stadtrallye für viel Spass.

Am nächsten Tag ging es dann richtig los mit GFK: Wolfssätze identifizieren und in Gefühle und Bedürfnisse übersetzen…Alle waren mit viel Engagement dabei und es gab das eine oder andere Aha-Erlebnis. So berichtete uns eine palästinensische Teilnehmerin unter Tränen, dass sie ganz tief mit ihrem Bedürfnis nach Sicherheit in Kontakt gekommen sei und dass sie gespürt hätte, dass das etwas ganz wichtiges und kostbares in ihr ist, auch wenn sie – aufgrund der israelischen Besatzung – im Moment in einer Situation lebt in der dieses Bedürfnis nicht erfüllt wird und sie erzählte, dass sie auch verstanden hätte, warum ihre Familie für sie so eine große Bedeutung hat: sie ist eine Möglichkeit, trotz der gegebenen Situation, das Bedürfnis nach Sicherheit zu erfüllen.

Unser Konzept sah vor, einerseits die Grundlagen der Gewaltfreien Kommunikation zu vermitteln um eine Basis für die gegenseitige Verständigung zu schaffen. Andererseits wollten wir aber auch von Anfang an einen geschützten Raum zur Verfügung stellen, in dem die Einzelnen über ihre Erfahrungen und ihre Lebenssituation reden konnten. Beides zu gewährleisten erwies sich als große Herausforderung.

Das wurde gleich am Dienstagabend deutlich, als die beiden jungen israelischen Kriegsdienstverweigerer von ihren Erfahrungen berichteten, von ihrer Haltung gegenüber dem israelischen Militär und ihrer Organisation, die Kriegsdienstverweigerer unterstützt. Sofort entbrannte eine heftige Diskussion unter den israelischen TeilnehmerInnen über die israelische Politik, die auf beiden Seiten so starke Emotionen auslöste, dass es kaum möglich war, einander zuzuhören. Die Stimmung im Raum war geladen und nur mit viel Unterstützung und strikter Moderation war ein Gespräch möglich.

Für die palästinensischen TeilnehmerInnen war dies eine sehr prekäre Situation. „Wenn es unter den israelischen TeilnehmerInnen schon so heiß hergeht, was passiert dann erst, wenn wir über unsere Situation erzählen?“ war die Frage, die mir eine palästinensische Teilnehmerin stellte, die unter Tränen den Raum verlassen hatte.

Eine israelische Teilnehmerin, die uns gefolgt war sagte „dieser Konflikt ist so kompliziert, wenn wir den gelöst kriegen, sind wir als Menschheit erleuchtet.“

In diesem Moment spürte ich die Dimension dieses Konfliktes, die mir theoretisch auch vorher schon klar war, ganz praktisch und hautnah und ich fragte mich wie es gehen sollte, unter solchen Bedingungen, Menschen die Fähigkeiten zur empathischen Kommunikation zu vermitteln?

Das Ganze kam mir vor, als ob ich gerade dabei bin, jemandem die ersten Kenntnisse im Flötenspielen zu vermitteln, während dieser gleichzeitig schon in einem anspruchsvollen Konzert mitspielen muss.

Und es tauchte in mir auch der Zwiespalt auf, der mich von Beginn des Projektes an beschäftigt hat: ich spürte einerseits eine starke Motivation mich als Trainerin an diesem Projekt zu beteiligen, weil in mir der Wunsch sehr stark ist, mit der GFK einen Beitrag zum Frieden zu leisten und zwar sowohl auf der persönlichen als auch auf der gesellschaftlichen/politischen Ebene. Gleichzeitig habe ich mich gefragt: wieso maße ich mir eigentlich an, dass ich etwas zur Lösung dieses Konfliktes beizutragen habe??? Und: ist es nicht seltsam, dass eine Deutsche meint in Israel-Palästina aktiv werden zu müssen, angesichts der Tatsache, dass der Holocaust eine der wesentlichen Wurzeln des Nah-Ost-Konfliktes ist?

Meine eigenen Erfahrungen mit der Gewaltfreien Kommunikation ermutigten mich zwar darin, zu glauben, dass sie auch in diesem Konflikt unterstützend sein kann, gleichzeitig wollte ich bewusst bleiben dafür, dass mein Engagement auch dem Zweck dienen könnte, mein eigenes Helfersyndrom zu bedienen und meine latenten Schuldgefühle zu beruhigen.

Im Austausch mit Gabriele, meiner Kollegin hat diese Frage immer wieder eine große Rolle gespielt und wir versuchten, uns gegenseitig immer wieder kritisch zu hinterfragen und uns in unserer Bewusstheit zu unterstützen. Im Nachhinein wünschte ich, wir hätten uns auch im Gesamtteam (mit dem Vertreter des Versöhnungsbundes und den beiden SozialpädagogInnen) mehr Zeit für dieses Thema genommen.

Nach dem Dienstagabend beschlossen wir, uns zunächst ganz auf das Thema „einfühlsames Zuhören“ zu konzentrieren, um nach und nach die Fähigkeit zu schulen, auch in herausfordernden Situationen in einem einfühlsamen Kontakt mit dem Gegenüber zu bleiben, weil wir das als zentrale Voraussetzung ansahen für den Austausch über die jeweilige Lebenssituation und die Erfahrungen der einzelnen TeilnehmerInnen.

Dabei erwies es sich als hilfreich, zunächst an Beispielen zu üben, die nicht so nah an der eigenen Lebensrealität lagen. Gleichzeitig entstand dadurch aber auch eine Spannung in der Gruppe, weil nun klar war, dass es noch eine Menge unausgesprochener Konfliktthemen im Raum gab, die in den Einzelnen brodelten, die aber in der Gesamtgruppe zu diesem Zeitpunkt nicht zur Sprache kamen.

Diese Situation habe ich als sehr schwierig erlebt: einerseits in den Rollenspielen und Übungen ein Gefühl dafür zu bekommen, wie eine einfühlsame Haltung in Gesprächen wirken kann und gleichzeitig zu spüren und zu erleben, dass es noch an Mut und an einem sicheren Rahmen fehlt, die im Raum stehenden heiklen Themen anzusprechen.

Mit dieser herausfordernden Situation gingen wir ins erste freie Wochenende.

Am Montag morgen starteten wir mit einer Übung, die auf sehr eindrückliche Weise deutlich machte, wie sehr unsere subjektive Sicht, unsere Erfahrungen, die wir in eine Situation einbringen wie eine Brille oder ein Filter wirkt, und wie sehr diese unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit beeinflusst. Diese Übung war für den weiteren Verlauf des Projektes von großer Bedeutung. In vielen Situationen nahmen die TeilnehmerInnen darauf Bezug um sich gegenseitig darauf aufmerksam zu machen, wenn wieder jemand seine subjektive Sicht der Dinge mit der objektiven Realität verwechselt hat. So kam an dieser Stelle der erste Schritt der Gewaltfreien Kommunikation ins Spiel: Unterscheidung von Beobachtung und Interpretation und erwies sich in den folgenden Auseinandersetzungen als hilfreich um im Gespräch zu bleiben auch wenn unterschiedliche Auffassungen zu einem Thema im Raum standen. Statt sich darüber zu streiten, welche Sicht nun richtig und welche falsch ist, gingen die Gespräche mehr darum, die jeweiligen unterschiedlichen Sichtweisen zu verstehen. Das habe ich als sehr entlastend erlebt.

Und es war eine Basis, dafür, dass in der Gruppe wieder mehr Vertrauen entstand, auch heikle, kontroverse Themen anzusprechen, was dann auch geschah. An diesem Nachmittag trauten sich zum ersten Mal zwei Palästinenserinnen in der Gruppe über ihre Erfahrungen und ihre Lebenssituation zu sprechen und ich war sehr berührt von der offenen Atmosphäre, die dabei spürbar wurde, auch wenn die Gespräche immer wieder eine Dynamik bekamen, in der es sehr schwer war, sich gegenseitig zuzuhören.

Dies schien der richtige Weg zu sein und so fuhren wir fort mit einem Wechsel zwischen „einfachen“ Übungen und Rollenspielen zum empathischen Zuhören und dem Üben am „Ernstfall“.

Wir gerieten dabei immer wieder an die Grenze der Überforderung, weil das steigende Vertrauen in der Gruppe einzelne immer mehr ermutigte, sich mit wirklich schwierigen Themen in die Gruppe zu wagen, was dann aber wiederum die Fähigkeit der Einzelnen präsent und in einem einfühlsamen Kontakt zu bleiben sehr auf die Probe stellte.

Dass wir aber inzwischen offenbar eine Basis geschaffen hatten, die tragfähig war wurde in einer Situation deutlich, die mir von dem ganzen Workshop am eindrücklichsten in Erinnerung ist.

Eine junge Israelin fragte an einem der letzten Workshop Tage eine der Palästinenserinnen, was sie empfinde, wenn ein Selbstmordattentäter Zivilisten in Israel tötet. Nach einem Moment des Zögerns sagte die Palästinenserin: es fällt mir schwer, das zuzugeben, aber ich empfinde Genugtuung. Nach dieser Aussage herrschte atemlose Spannung im Raum, eine der Israelinnen brach in Tränen aus und rief: „wie sollen wir jemals einen Schritt weiter in Richtung Frieden kommen, wenn Du so denkst?“.

Eine deutsche Teilnehmerin fragte die Palästinenserin wieso sie Genugtuung empfinde, was es für die bedeute, wenn israelische Zivilisten auf diese Art ums Leben kämen. Sichtlich bewegt antwortete die Palästinenserin, dass sie sich so verzweifelt wünscht, dass die Israelis verstehen, wie schrecklich es sich anfühlt, wenn man Angehörige verliert und dass sie keinen Weg weiß, diesen Schmerz der israelischen Seite begreiflich zu machen.

Zum ersten Mal wurde sie sich darüber klar, dass das Gefühl von Genugtuung Ausdruck dieser Verzweiflung ist und der riesigen, offenbar völlig unerfüllbaren Sehnsucht, in dem eigenen Leiden von den Israelis gesehen zu werden.

Das war ein sehr bewegender Moment in dem uns allen buchstäblich das Herz aufging.

Im letzten Teil des Projektes besuchten die TeilnehmerInnen in kleinen gemischten Gruppen verschiedene Projekte.

Eine Gruppe von 2 Israelis, 2 PalästinenserInnen und zwei Deutschen waren für eine Woche hier in der Kommune zu Gast.

Zu diesem Projekt ist auch ein Artikel in der TAZ erschienen: TAZ-Artikel

Eigentlich war eine Fortsetzung des Projekte in 2009 bzw. 2010 geplant, die jedoch u.a. aufgrund der Finanzkrise nicht geklappt hat. Wir haben die Zwischenzeit genutzt, um unsere Erfahrungen gründlich auszuwerten und das Konzept weiter zu entwickeln. Die wichtigste Neuerung besteht darin, dass wir Kontakt mit einer israelischen und einem palästinensischen Trainer aufgenommen haben. Denn wir möchten gerne das nächste Mal das Ganze von Anfang an mit TrainerInnen von vor Ort planen und durchführen.

Dafür suchen wir noch SponsorInnen!!!!!